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Sonntag, 30. September 2012

Frauenrechtsquilt # 5

Der fünfte Block ist da und ich habe ihn gestern Abend noch genäht. Und nun seid Ihr sicherlich schon gespannt, welche Geschichte sich hinter diesem Block verbirgt. Na dann...

Diesen Block widme ich Clivia!

Clivia ist nicht mehr unter uns!

Eigentlich kenne ich diese Frau nicht wirklich gut, aber sie erwies mir die Ehre, sie ein Stück ihres Weges zu begleiten, wenn auch nur ein kurzes Stück. Und von diesen paar gemeinsamen Schritten will ich Euch erzählen.

Fragt mich nicht nach Clivias Alter, ich schätze, sie war damals plusminus mein Alter, also ca. 40 oder 42 Jahre. Ich weiß das gar nicht mehr so genau. Sie wohnte mit ihrer Familie in unserem Dorf, aber weit außerhalb auf einem Resthof, was bedeutete, daß man sich zwar irgendwie flüchtig kannte, aber nicht wirklich etwas voneinander wußte.
Eines Tages erzählte man mir voller Bestürzung, daß Clivia Krebs hätte. Ja, das war schon schlimm, aber diese Frau war für mich fremder als unsere Briefträgerin, denn diese sah ich wenigstens fast täglich. Ich hatte nicht wirklich ein Gesicht zu dieser Diagnose und war "neugierig", wer denn diese Frau war, die so viele beschäftigte.
Eines Tages traf ich dann die ganze Familie nach der Kinderkirche. Ja, da waren drei Personen, wo mir eigentlich nur die Tochter bekannt war und zwar durch den Kindergarten. Die Tochter war ein liebes kleines Mädchen, der Ehemann freundlich, aber distanziert und die Frau, nun, was soll ich sagen? Sie war genauso freundlich und genauso distanziert. Schon klar, mit so einer Diagnose geht keiner hausieren und der Kopf steht einem sicherlich nach anderen Dingen.
Aber irgend etwas zog mich an an dieser Frau, vielleicht wollte ich auch, daß sie von mir Notiz nimmt, wie ich von ihr Notiz nahm. Vielleicht wollte ich auch all das wissen, was den anderen scheinbar ganz detailliert bekannt war.
So sprach ich sie an, als sie mal etwas abseits stand. Ich plauderte einfach über belanglose Sachen und sie machte mit. Ich sah sie mir dabei aber genau an und fand, daß sie eigentlich ganz gesund aussah. Viel später dann erzählte sie mir, daß das eines ihrer großen Probleme sei, denn jeder fand, daß sie gesund aussah und sie fühlte sich so krank. Sie schilderte mir, wie die Ärzte sie nicht für voll nahmen wegen ihrem gesunden Aussehen, welch Ironie! Aber das wußte ich damals noch nicht und was ich auch erst später erfuhr war, daß sie damals gerade Chemo bekam und schon die Haare verloren hatte.
Fragt mich nicht, wie es dazu kam, daß man sich plötzlich öfters sah, ich denke, es lag an den Kindern. Meine beiden wollten mir ihrer Tochter spielen und man wechselte sich ab, mal bei uns, mal bei ihnen. Unsere Kinder waren aber noch so klein, daß sie sich wohler fühlten, wenn die Mama da blieb.

So lernte ich Clivia also ein bischen kennen. Sie lebte mit ihrer Familie auf einem Resthof mit Pferden und Eseln, umringt von Weideflächen. Innen war es so schön wie außen und immer, wenn ich zu ihnen kam, empfand ich es als sehr angenehm dort. Wir sahen uns nicht oft und meist spielte ihre Tochter bei uns, wenn es Clivia nicht so gut ging. Aber wenn ich dort war, dann tranken wir Tee und sie erzählte mir ein kleines bischen was über sich. Ich erfuhr Details aus ihrer Kindheit, wie sie ihren Mann kennenlernte, was ihr Pferde bedeuten und wie glücklich sie sei, sobald sie auf dem Rücken eines Pferdes saß.

Irgendwann dann hatte ich das Gefühl, daß mich Clivia mochte und ich traute mich, ihr auch mal eine genähte Kleinigkeit mitzubringen, über die sie sich sehr freute.

Und dann begann die Zeit, wo ihre Tochter mehr bei uns spielte als meine Kinder dort.
Es begann die Zeit, wo Hoffnung und Wille größer waren als Kraft.
Es begann eine Zeit, wo ich glaubte, näher an Clivia zu sein als all die Monate zuvor.

Ich weiß noch, wie sie zu mir sagte:
"Komm´ das nächste mal doch mit einer Laterne zu mir und zünde dir am Friedenslicht aus Bethlehem deine Kerze an." Sie deutete auf eine riesige Laterne am Hauseingang und ich lächelte nur müde. Sie bat mich nochmals, aber ich schüttelte nur mit dem Kopf. Heute könnte ich mir in den Hintern beißen, weil ich weiß, es hätte ihr gut gefallen. Ich spüre heute noch, wie enttäuscht sie war darüber, daß ich so gar nichts damit anfangen konnte. Heute hole ich jedes Jahr mir das Friedenslicht nach Hause, welches in der Kirche ausgeteilt wird. Und jedesmal denke ich an Clivia und jedesmal freue ich mich und bin auch gleichzeitig traurig.

Dann machte sie mit bei einer hoffnungsvollen Studie und soweit ich mich erinnere, erzählte sie mir, daß mindestens einer von den Probanten ein Plazebo bekäme und sie spüre, daß sie das sei. Ich glaube, so war es dann auch.

Als sie irgendwann ins Krankenhaus kam, dort, wo nur die Krebspatienten liegen, fragte ich ihren Mann, ob ich sie besuchen dürfe, aber er solle sie unbedingt fragen, ob es ihr auch recht sei. Ich war sehr froh, daß sie ja sagte und ich fuhr nach Hamburg in die Klinik. Ich suchte vorher einen Rosenstoff heraus und steckte ihn in einen Bilderrahmen, das war mein Blumengruß und sie hat sich sehr gefreut, denn diese Rosen durfte sie ja bei sich haben. Ich redete und redete und wir lachten und erzählten, es war richtig gut. Ja, sie war sehr krank, aber sie war am leben!

Im September hatte sie Geburtstag und in ihrem Wohnzimmer stand ein schwerer Holztisch, fast schon eine Tafel. Dieser Tisch war wie gemacht für einen hübschen Läufer und ich nähte ihr einen. Ich suchte nur Rosenstoffe aus und hielt das Muster simpel, aber mit jedem Stich dachte ich an Clivia. Ich sagte mir, ich müsse mich beeilen, damit er auch rechtzeitig fertig wird und informierte ihren Mann, daß er unbedingt den Läufer zum Geburtstag übergeben solle. Als dann der Geburtstag kam, bat man mich, ihr den Läufer doch persönlich zu übergeben und ich fuhr hin.
Clivia lag zuhause im Bett und der Unterschied war nicht groß - sie sah ja immer aus wie das blühende Leben - aber wenn man sie ein wenig kannte, dann sah man ihn doch, es ging ihr nicht wirklich gut. Sie konnte nicht mehr sprechen und versuchte es. Immer wieder setzte sie an und wurde zornig, weil sie mir nichts sagen konnte. Sie packte mein Geschenk aus und freute sich, so wie ein Sterbender sich noch freuen kann. Sie war schon recht schwach und ich wollte es nicht übertreiben mit meinem Besuch und verabschiedete mich von ihr. An der Tür hörte ich ein Geräusch und drehte mich um und ich sah, daß sie was sagen wollte was mir galt und wie verzweifelt sie war, das es nicht ging. Und ich hörte ihre Worte in meinem Kopf und sagte: "Ja, gell, gut abgenommen!" Und dann strahlte sie und hob beide Daumen hoch. Wir waren uns nahe in diesem Moment, wir hatten einander verstanden. Ich konnte gehen. Traurig, aber es war okay. Ich wußte, ich hatte sie zum letzten mal gesehen.

Vielleicht vier Wochen später rief uns ihre Tochter an und sagte, daß ihre Mama gestorben sei.

Ich weiß nicht, warum mich Clivia so nah an sich heran ließ, ich weiß auch nicht wirklich, was Clivia in mir sah, aber ich bin um diese kurze Zeit mit ihr sehr, sehr dankbar. Es berührt mich immernoch so tief, wenn ich von ihr erzähle, als wäre es gestern erst geschehen, dabei liegen jetzt schon Jahre hinter uns.

Ihr Mann hat eine neue Frau gefunden, die ebenso die Pferde liebt wie Clivia. Die neue Frau ist wirklich niedlich und für den Mann und die Tochter ein wahres Geschenk. Es ist wieder Leben eingekehrt in den Resthof, wo alle immernoch wohnen. Als ich diese Woche dort war - was nur noch selten ist - sehe ich Clivia allerdings überall.

Und der Läufer liegt immernoch auf dem Holztisch...






11 Kommentare:

  1. Eine sehr berührende Geschichte, danke, dass Du sie geteilt hast! Und Dein Block passt sehr gut dazu, und noch ein Dankeschön für die Mühe, die Du Dir machst, immer eine kleine Geschichte zu finden, das ist einfach schön von Dir!!!
    Liebe Grüße von Regina

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  2. Hallo liebe Nana eine sehr sehr ans Herz gehende Geschichte , nun musste ich erst Wäsche aufhängen , Katzentoilette säubern, um diese Liebe Geschichte erst ein bißchen zu verarbeiten , bevor ich antworten könnte. Ein wirklich passender Blog zu dieser Geschichte und eine Kerze soll ewig für Clivia strahlen. Lass dich drücken LG Marika

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  3. Hallo Nana,

    die Gschichte um Clivia, hat mich sehr berührt...und du hast einen passenden Block genäht....für Clivia, die Pferde so liebte!

    LG Klaudia

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  4. hallo
    sorry, aber mir fehlen die Worte.................
    Aber ich weiß, es hat euch beiden gut getan, dass ihr einige Zeit miteinander verbringen durftet...........
    Der Block ist wunderschön.
    VG
    Gerlinde

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  5. Liebe Nana,
    ich weiß nicht was ich schreiben soll, dabei habe ich so viel im Kopf.
    Eine wichtige und schwere Zeit für Dich, da es Dich nicht los läßt. Und toll, dass Ihr Euch gefunden habt, es war sicher sehr schön für Clivia.
    Der Block ist toll, und vielleicht passt sie ja auf Dich auf.

    Liebe Grüße Grit

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  6. Welch traurige Geschichte. Clivia hatte Glück, eine solch einfühlsame Seele gefunden zu haben. Und da passen die Stoffe für den Block wunderbar.

    LG, Petruschka

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  7. Liebe Nana, das hat mich jetzt sehr berührt und eine Träne hab ich auch und es hat mich wieder an mindestens zwei Personen erinnert die in meiner Erinnerung auch zu früh gestorben sind...schön das diese Frau in deiner Erinnerung weiterleben darf.
    LG von Steffie

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  8. Liebe Nana,
    ich bin sehr berührt von der Geschichte um Clivia, es muß für sie sehr schön gewesen sein in dieser schweren Zeit eine so einfühlsame Freundin gehabt zu haben und Du hast sie durch diesen passenden Blog immer bei Dir.

    LG Uta

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  9. Ich weiss warum die Frau dich so nah an sich herran liess !!
    Mir geht es genau so !!
    Wie immer lass dich ganz dolle drücken
    Manuela

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  10. Dieser Post geht mir sehr nahe. Du hast ihr sicher viel Kraft in einer schweren Zeit gegeben.
    Ich habe gerade erfahren,daß eine
    liebe Bekannte wieder in der Klinik ist und es wohl nicht viel Hoffnung gibt.
    Man ist so sprachlos ..............ihre Jungs sind erst 8 und 10 Jahre alt.

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Ich behalte mir vor, nach eigenem Ermessen Kommentare zu löschen.

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